Außenpolitisch beginnt das Neue Jahr mit einem Paukenschlag. Am 26. Januar 1934 unterschreibt der Außenminister Konstantin von Neurath das Deutsch-Polnische Nichtangriffsabkommen, über das seit Monaten schon verhandelt worden ist. Dazu kommt noch die feierliche Erklärung zur Erhaltung eines dauerhaften Friedens mit Polen, „welche ausdrücklich auf dem Pakt von Paris beruhte und worin der Gebrauch von Gewalt für einen Zeitraum von zehn Jahren in Acht und Bann erklärt“ wird.138

So kann der Kanzler des Friedens zum ersten Jahrestag der Ernennung mit einer Wende im Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn glänzen. Für Piłsudski ist der Erfolg genauso groß – er hat den Nichtangriffspakt mit Moskau vom 25. Juli 1932 um einen solchen Vertrag mit Berlin ergänzt. Im polnisch-sowjetischen Vertrag sicherte Moskau Polen noch zu, „dem Deutschen Reich im Falle eines polnisch-deutschen Konflikts weder unmittelbar noch mittelbar Hilfe zu leisten“.139

Die Führung in Warschau ist zufrieden, denn ihre Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel in der Berliner Außenpolitik haben sich endlich realisiert. Mit Genugtuung bezeichnet der Pariser Gesandte in Warschau Léon Noël die vollkommen neue Qualität im Verhältnis zwischen Berlin und Warschau als „deutsch-polnische Arbeitsgemeinschaft“.140 Eine gute Basis für weitere Verträge, die Deutschland mit anderen Ländern in Osteuropa verbinden können. Mit Erleichterung wird in der französischen Hauptstadt registriert, dass Kanzler Hitler bei der Unterzeichnung jenes Vertrages mit Warschau auch das bereits existierende Bündnis zwischen Warschau und Paris völlig akzeptiert. Am 30. Januar hält Kanzler Hitler im Reichstag eine große Rede, in der er der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass Polen und Deutschland jetzt in Eintracht und Frieden zusammenarbeiten können.141 Seit der Kanzler auf das deutsche Land da verzichtet hat, herrscht eitel Sonnenschein in den Beziehungen, denn in Warschau und Berlin sind sie in allen wichtigen politischen Fragen einer Meinung. Sir Eric Phipps schickt einen Bericht nach London, in dem er formuliert, dass der deutsche Kanzler den Beweis erbracht habe, dass er ein Staatsmann sei, da er seine Popularität partiell der außenpolitischen Vernunft geopfert habe.142 Die Besserung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen, die weder einem Völkerbund noch jemandem sonst gelungen war, erreicht Hitler tatsächlich in wenigen intensiven Gesprächsrunden, und der Brite schätzt es richtig ein, dass Hitler riskiert, mit seinem Ruck in der Politik Polen gegenüber bei den Deutschen gehörig an Sympathie zu verlieren, vor allem in der Freien Stadt Danzig.

Was hatte man in der polnischen Hauptstadt schon davon gehabt, dass unser Außenminister Gustav Stresemann 1925 den Rheinpakt mit Paris abgeschlossen hatte und die deutsch-französische Grenze als endgültig anerkannte? Der polnische Staatschef Józef Piłsudski hatte hier keinen Erfolg, als er von Berlin solche Garantien auch für die polnisch-deutsche Grenze wollte. Der deutsche Außenminister wies Piłsudskis Wünsche ab und sagte, dass Deutschland gewiss keinen Krieg beginnen würde, doch auf Gelegenheit zu einer Neuregelung der Grenzen warte. Polen seinerseits versucht weiter, sich Danzig einzuverleiben. Darüber hinaus wollen auch die Stimmen nicht leise werden, die Schlesien, Pommern und Ostpreußen für Polen fordern. Die Ausgangslage ähnelt einem Pulverfass – Deutschland hat Ansprüche an Polen und dieses Polen hat Ansprüche an Deutschland. Erst der Kanzler Hitler bringt Bewegung in die starren Fronten. Wer wird etwas dagegen haben, wenn jemand endlich Frieden bringt? Marschall Piłsudski registriert, dass das Interesse der Franzosen an Polen zurückgeht. Mit Sorge sieht er die Annäherung der Franzosen an die Russen. Er weiß, dass Kanzler Hitler statt mit Polen ebenfalls mit der Sowjetunion kooperieren kann – wie es das Reich schon seit Rapallo gehandhabt hatte. Er weiß auch, dass eine deutsche Wiederaufrüstung kaum noch zu verhindern ist. Hitler seinerseits hofft, Warschau durch deutlich reduzierte Revisionsansprüche zu einem Entgegenkommen zu bewegen. Außerdem will er Polens Wünschen im Osten Rückendeckung anbieten. Piłsudski hegt eigene Wünsche nach einer Föderation Polens mit einer halb abhängigen Ukraine143 und für den Berliner Kanzler zählt die Ukraine wohl zu jenem zusammenhängenden Gebiet, von dem er im Buch Mein Kampf als Lebensraum für die Deutschen gesprochen hatte. Doch das zusammenhängende Siedlungsgebiet für die Deutschen ist der Knackpunkt; wird der Kanzler auf seinem Weg in die Ukraine die Polen nicht auch aus ihrem Gebiet vertreiben wollen? Andererseits betonte der Kanzler ja, dass man die aktuelle Politik nicht aus Mein Kampf ableiten könne, da Gedanken eines oppositionellen Parteiführers nicht mit denen eines Regierungschefs übereinstimmen könnten.144

Seit 1934 folgt der urgemütliche Bayer Hermann Göring jedes Jahr der Einladung des Warschauer Außenministers Oberst Józef Beck zur Jagd in den schönen Wäldern Polens. Der französische Botschafter in Berlin André François-Poncet wird stets auf dem Laufenden gehalten, worum es in ihren Gesprächen geht. Bei diesen freundschaftlichen Zusammenkünften spricht man selbstredend auch über die Danziger Frage und den polnischen Korridor – Probleme, die eines Tages im Interesse der guten Beziehungen beider Länder gelöst werden müssen. Oberst Beck gibt zu verstehen, Polen werde sich nicht weigern, Danzig an das Reich zurückzugeben, wenn es dort wirtschaftliche Vorrechte beibehalten darf. Auch würde sich Polen mit einer exterritorialen Autobahn und Eisenbahnlinie zwischen West- und Ostpreußen einverstanden erklären.145 In Deutschland macht man sich über den Strahlemann Hermann Göring lustig, der im Ausland die freundlichere Seite des Regimes mimt, und lästert unter der Hand über einen der ganz großen Bonzen des Jahres 1934: „Kennst du den Unterschied zwischen Japan und Göring?“ – „Japan ist das Land des Lächelns, Göring ist das Lächeln des Landes.“146