Ein halbes Jahrzehnt im Zeitraffer

Ende Januar ist es fünf Jahre her, dass Hitler Kanzler geworden war. In der kurzen Zeit von fünf Jahren ist tatsächlich eine Menge passiert. Hin und wieder zieht man Bilanz. Sicher ist mancher geblendet vom scheinbaren wirtschaftlichen Aufwärtstrend, doch wer mehr Einblick hat, ahnt für die Zukunft nichts Gutes, denn dieser wirtschaftliche Aufschwung ist ja auf Pump finanziert. Außenstehende müssen sich wundern, dass dem Experten Hjalmar Schacht nicht Bange ist vor galoppierender Inflation, aber der wiegt sich ernsthaft im Glauben, er habe mit Hilfe der Finanzen unseren Führer an der Leine.1 Der Kanzler selbst verfolgt unbeirrrt seine Pläne, mit denen er angetreten war. Am Ende der Woche, in der ihn der greise Reichspräsident an die Spitze der Regierung berufen hatte, sagte er bereits zur Führung der Reichswehr, was er noch vorhat: Lebensraum schaffen für die Deutschen. Der Inhalt der Rede war nur wenig später in Moskau angekommen. Dort waren sie von solchen Worten nicht so sehr angetan, aber mit seiner Miniarmee konnte der Kanzler seinerzeit noch nicht einmal sein eigenes Land verteidigen. Wer Hitlers Zielvorstellung in Mein Kampf gelesen hat, konnte schon eher wissen, was der Mann im Schilde führt. Es geht ihm nicht allgemein um Lebensraum; den hätten die Deutschen ja auch in ihren alten Kolonien in Afrika gehabt. Dort, in der Ferne, hätten London und Paris ihm den auch gern gewährt. Aber es geht Kanzler Hitler um ein zusammenhängendes Land der Deutschen in Europa und das ist ganz klar nur durch Krieg in Europa zu bekommen. Gelacht haben unsere Generäle vor fünf Jahren. „Na, der wird sich noch wundern in seinem Leben“,2 hatte Generalmajor von Brauchitsch gesagt und der Chef des Heeresamts, Oberst Fromm, vertrat in einem Gespräch mit Generalleutnant von Fritsch die Meinung, „dass die maßlosen Vorhaben an der Härte der Tatsachen scheitern und auf ein nüchternes Maß zurückgeführt“ würden.3

Unser Kanzler wurde das Gefühl nicht los, „gegen eine Wand zu reden“.4 Grundehrlich wie er ist, so klug war er auch, und hielt sich fortan zurück mit seinen Visionen, bis er sicher im Sattel saß. Vor zwei Monaten hatte er es noch einmal probiert und diesmal haben die Männer nicht mehr in sich hinein gelacht – sie haben ihm widersprochen. Seitdem sinnt unser Kanzler auf Abhilfe. Wer sich seinen Plänen in den Weg stellt, muss aus der Sicht genommen werden. Doch unser Kanzler ist kein Tor. Sein Tun darf nicht plump sein, damit sich andere nicht mit den Abgeschossenen verbünden. Gelegenheiten muss man im Leben nicht unbedingt schaffen wollen, dann fällt es womöglich auf. Eine Gelegenheit muss man sehen, wenn sie sich bietet; irgendetwas muss passieren, womit man ursächlich gar nichts zu tun hat. Das hat schon fünf Jahre lang funktioniert und da wäre es doch wahrlich gelacht, wenn es nicht so weiterliefe.

Ein « trockener 30. Juni » mitten im Winter

Für einige Zeit zieht er sich auf seinen Berghof in den Alpen zurück und grübelt, wie er weiter vorgehen soll. Im Januar 1938 ist er zurück in der Hauptstadt seines Reiches. Zwei Monate gingen ins Land; unser Kanzler kann warten und Tee trinken. Doch in Berlin – oder sagen wir besser in Karinhall – brütet auch ein Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, über dem Problem, wie die widerspenstigen Köpfe effektiv aus dem Weg geräumt werden können. Er weiß, dass so eine geeignete Gelegenheit für Hitler sorgfältig vorbereitet werden will, und deshalb sammelte er schon geraume Zeit Material gegen diese Widerspenstigen. Der Erste macht es ihm zu einfach. Von Blomberg möchte erneut heiraten. Fein. Allerdings hat er ein schlechtes Gewissen, denn die Dame seines Herzens hat „eine gewisse Vergangenheit“,5 sie war eine Prostituierte. Damit es darum nun nicht Ärger gab, vergewisserte er sich bei Göring und der riet ihm zu der Hochzeit. Jetzt hat Göring etwas gegen ihn in der Hand. Göring erfährt, dass sich ein zweiter Mann um die Frau bemüht, und hilft dem Schicksal nach. Er sorgt dafür, dass der Nebenbuhler Devisen kriegt und zur Auswanderung veranlasst wird, und gibt am 12. Januar mit Adolf Hitler den Trauzeugen. Ist es ein Zufall, dass bloß wenige Tage danach Gerüchte in der Luft liegen, die den Freiherrn von Blomberg schwer belasten? Es ist bezeichnend, dass Hitler so ziemlich der Letzte ist, der davon erfährt, da sich die Gestapo-Beamten, die sehr wohl davon hören, letztlich kam die Dame mit der Vergangenheit ja aus dem einfachen Volk, nicht wagen zu berichten, was die Berliner Flüsterpresse an Sachen herumtuschelt.6 Die Geschichte soll hier nicht komplett erzählt werden. Am 26. Januar wird er zu Hitler gebeten, der ihn mit den Worten empfängt: „Die Belastung für mich und für Sie war zu groß. Ich konnte das nicht mehr aussitzen. Wir müssen uns trennen.“7 Das war die Nummer 1.

Am schönen Berliner Grunewald wohnt ein Rittmeister a. D. Achim von Frisch. Dieser alte Mann steht auf junge Männer und gibt ihnen Geld für sexuelle Dienstleistungen, was sich an Kontobewegungen beweisen lässt und die Gestapo auf den Plan ruft. Im Hintergrund ziehen Himmler und Göring die Strippen und lassen die Kontoauszüge verschwinden, weil sie die Namensähnlichkeit mit dem Freiherrn von Fritsch gerne zum Strick verarbeiten wollen.8 Von Fritsch soll auf der Basis des § 175 zum Rücktritt bewegt werden. Durch einen Zufall hört Geheimdienstchef Canaris, dem wir vor Jahren begegnet waren, als er noch vom Kanzler begeistert war, dass es sich um eine Verwechslung handele, dass jedoch Heydrich und Himmler davon wüssten und dass Maßnahmen getroffen seien, um Fritsch reinzureiten. Ein Kriegsgerichtsurteil soll den Betrug beweisen. Das bietet eine einzigartige Möglichkeit, um jetzt die Macht der Gestapo ein für alle Mal zu brechen.9 Dass sie dort sogar einen General verhören, ist für Canaris ungeheuerlich. Ludwig Beck, der einzig brauchbare Mann als Ersatz für Fritsch, steht Fritsch und sich selbst in diesen so wichtigen Tagen zu allem Unglück selbst im Weg. Ihm ist diese ganze Debatte über die mögliche Homosexualität eines hohen Generals zu unangenehm und er verbietet den Männern im Generalstab darüber zu sprechen. Dusselig und pflichttreu, wie sie sind, halten sie sich an das Verbot und versagen so dem Kameraden die notwendige Unterstützung.10 Fritsch selbst kann sich auch nicht helfen, weil er nicht neben sich tritt und sich diese Szene aus anderen Blickwinkeln betrachtet. Er zermartert sich das Hirn, wieso die Anschuldigung zustande kommen konnte; er kann sich jedoch nicht vorstellen, dass es einen Zusammenhang geben könnte zum Widerpart gegen Hitlers Kriegsplan vom Herbst 37, und erinnert sich auch nicht an die Warnungen von Beck und Goerdeler, ein Anschlag der Gestapo auf die Wehrmacht liege in der Luft.11 Er ist viel zu stark persönlich von der Angelegenheit betroffen, als dass er sich auch noch als den militärischen Funktionsträger sehen könnte, der Hitlers Angriffsplänen eventuell im Wege steht. Im Kern verhält er sich genau so wie Ernst Torgler, der 1933 meinte, er hätte beweisen müssen, dass nicht er den Berliner Reichstag angezündet hatte, und ganz einfach nicht begriff, dass mit seiner Person die Kommunisten unmöglich gemacht werden sollten.

Bei der Abschiedsaudienz für Blomberg hatte Hitler ausgerechnet den Fachmann in moralischen Angelegenheiten gefragt, ob er sich vorstellen könne, dass der Vorwurf gegen Fritsch gerechtfertigt sei, und Blomberg machte sich bei der Gelegenheit endgültig vor Gott und den Menschen völlig unmöglich. „Bei Frage eins gibt es kein langes Besinnen. Der vom Schicksal Geschlagene greift mit beiden Händen nach der Chance, nicht allein im Morast versinken zu müssen. Jahrelang hat er mit Fritsch aufs Engste dienstlich zusammengearbeitet; jetzt stößt er seinem Kameraden den Dolch in den Rücken: Er könne sich bei diesem Sonderling, meint Blomberg fachmännisch, sehr wohl anormale sexuelle Neigungen vorstellen; nie habe Fritsch geheiratet, er sei kein Mann für Frauen.“12 Hier geht es gerade überhaupt nicht darum, was jemand von Homosexuellen denkt; es geht darum, dass eine Person mittels eines nicht zutreffenden Argumentes in unlauterer Art aus dem Feld geschlagen werden soll. Das Ende vom Lied ist die Verabschiedung des Freiherrn Werner von Fritsch durch Hitler. Das war die Nummer 2. Diesen 4. Februar wird man ganz bestimmt nicht vergessen.

Es mag erstaunen, dass Werner von Blomberg nach dem Nachfolger für sich selbst gefragt wurde, was wohl zeigt, dass Hitler überrascht ist, wie schnell er diesen Mann losgeworden ist. „Erst bei Frage zwei gibt es eine längere Debatte. Wer will sich nach allem Vorgefallenen noch wundern, wenn der von Hindenburg persönlich bestallte Treuhänder der Seecktschen Reichswehr jetzt den einzigen Parteigeneral vorschlägt, über den die Wehrmacht verfügt? Göring ist Blombergs Mann; – er weiß schon, warum. Umso erstaunlicher ist, dass Hitler nichts davon wissen will. In immer wieder bei ihm verblüffender Sachlichkeit erklärt er, Göring sei ihm zu faul; der könne nicht einmal in seiner eigenen Luftwaffe Ordnung schaffen. Natürlich hat Hitler noch einen weiteren Grund. Niemals wird er dem zweiten Mann zu viel Machtfülle delegieren. Immerhin böte sich jetzt für Blomberg die Chance, jemanden aus der großen Schar qualifizierter Generäle in Vorschlag zu bringen. In blinder Zerstörungswut zerschlägt er jedoch das Werk seiner letzten Jahre: Er selbst regt an, der Führer solle das Kriegsministerium auflösen und es in ein ihm als oberstem Befehlshaber unterstehendes »Oberkommando der Wehrmacht« umwandeln. Blomberg bietet Hitler sozusagen mit sachverständigem Rat das alte, nur zeitgemäß erweiterte Militärkabinett der preußischen Könige an. Hitler will wissen, wer als Chef eines solchen Oberkommandos in Frage komme. Angeblich fällt Blomberg kein geeigneter Offizier ein. Was folgt, ist daher einer jener großen Augenblicke, die dadurch Geschichte machen, dass jemand nicht aufpasst oder sich bewusst nicht festlegen will. Hitler möchte gern wissen, wer denn der General sei, den Blomberg bisher bei sich gehabt habe. Die Antwort lautet: »Ach, Keitel; der kommt gar nicht in Betracht, der ist nur Vorsteher meines Büros ge-wesen.« Unverzüglich greift Hitler zu: »Das ist ja gerade der Mann, den ich suche.«“13 Blomberg widerspricht nicht. Gerade hat ihm Hitler seine eventuelle spätere Rehabilitierung in Aussicht gestellt und bis dahin ist General Keitel, mit dem er durch die Heirat ihrer Kinder sogar verwandt ist, genau der richtige Lückenfüller. Vielleicht war es Hitlers heimlicher Traum gewesen, selbst an der Spitze der deutschen Armee zu stehen. Er konnte sich aber gewiss nicht vorstellen, dass das so billig zu haben sein könnte – dass ihm das von seinem ersten Marschall angetragen würde.14

Den Adjutanten Friedrich Hoßbach schickt Hitler wegen seiner Treue zu Fritsch in die Wüste; Hoßbach hatte von Fritsch eigenmächtig über die Vorwürfe informiert.15 Die Nummer 4 wird der deutsche Außenminister Konstantin von Neurath. Für ihn macht Adolf Hitler seinen Vertrauten Joachim von Ribbentrop zum Außenminister. Der hatte im Leben einige Erfahrung als Weinhändler und Eishockeyspieler in Canada gesammelt, was ihn für diese Position des Außenministers geradezu prädestinierte. Wobei, das muss man ihm lassen: Ribbentrop spricht nicht nur Deutsch und er gab vorher zwei Jahre lang den deutschen Botschafter in London. Dort nannten sie ihn Brickendrop. Wenn jemand irgendetwas Peinliches von sich gibt, dann sagen die Briten, er habe einen Ziegelstein fallen gelassen – he dropped a brick; aber was kann man auch von einem Mann erwarten, der nicht gelernt hat, was er tun soll.
Mit Konstantin von Neurath ist das nächste dieser kriegssscheuen Elemente aus dem Wege geräumt. Das haben sie nun von ihrem Auftritt im November. Gewiss hat keiner der Männer etwas gegen Deutschland als Großmacht, doch sie haben in ihrem Kopf noch Platz für das Rückspiel. Auf dem Weg zu alter Größe darf das Reich nicht in einem großen Krieg untergehen. So ziehen sie im Auswärtigen Amt eigene Schlüsse aus dem Rundumschlag vom 4. Februar 1938. Es kann ja kaum die Lösung sein, einfach das Handtuch zu werfen und Ribbentrop das Feld zu überlassen. So bleiben die Männer im Amt, um etwas gegen die Diktatur und einen Krieg zu tun. Hans Bernd Gisevius klärt unmissverständlich, dass man ohne ein Amt jetzt wenig oder eher nichts mehr bewegen kann. Er meint unter anderem, dass die Linke unter diesen Bedingungen hier gar keine Chance hat, bei einem Staatsstreich noch dabei zu sein, nachdem sie die Möglichkeiten eines Aufstandsversuches von unten verpasst hatte. Wie die Dinge liegen, stehen die Angehörigen der Mitte und der Rechten den Generälen und Staatsbeamten, die etwas bewirken können, politisch wie auch soziologisch näher, und darauf kommt es an.16 Die Verbindung des Auswärtigen Amts zum Oberkommando der Wehrmacht wird fest in die Hände der Gegner des Regimes gelegt. Albrecht von Kessel, ein Freund von Otto C. Kiep, sowie Hasso von Etzdorf werden mit dieser Aufgabe betraut. Zu Ex-Reichskanzler Heinrich Brüning hält Theodor Kordt die Verbindung aufrecht.17 Den Kritikern Hitlers gelingt bei dieser Partie ein cleverer Schachzug. Sie schaffen es, die Position des zweiten Mannes im Auswärtigen Amt, nämlich den des Staatssekretärs, mit einem Beamten von hoher sachlicher und charakterlicher Qualifikation der alten Schule zu besetzen. And the winner is: Ernst von Weizsäcker. Der Diplomat Dr. Erich Kordt führt den Erfolg darauf zurück, dass der neue Amtschef von Weizsäcker nicht kennt. Er bedauert allerdings, dass es von Weizsäcker nicht gelingt, die zunehmende Durchsetzung des Auswärtigen Amts mit „Ribbentropschen Kreaturen und die fortschreitende Verwilderung der außenpolitischen Methoden zu verhindern“.18

Anders als 1934 setzt Hitler 1938 die Personalwünsche unblutig durch; der französische Botschafter nennt die Aktion den trockenen 30. Juni.19 In das Wirtschaftsministerium zieht für den Fachmann Hjalmar Schacht ein Walter Funk ein, der Hitler vor der Machtübergabe Spendengeld von einer Anzahl prominenter deutscher Großindustrieller vermittelt hatte. Schacht hätte aber auch bessere Karten gehabt, hätte er sich als Minister nicht dauernd in politische Geschichten eingemischt. Die Sitzung, in der Hitlers Kabinett von den Neubesetzungen erfährt, ist zugleich die letzte Sitzung, die es gibt. Einer der Männer, die sehr nahe am Geschehen und weit weg von der Macht sind, ist Hans Bernd Gisevius, inzwischen Mitte dreißig. Lakonisch kommentiert er diese atemberaubende Entwicklung von einer Koalitionsregierung unter Einbindung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 zu Hitlers Spielzimmer im Jahr 1938. Am Anfang sei das Reichskabinett noch verfassungsmäßiges Beschlussorgan gewesen. 1934 habe es freundlicherweise noch dann und wann tagen dürfen. Im dritten Jahr habe Hitler es ab und zu noch angehört und vom vierten Jahre an beehrte Hitler Seine Minister lediglich noch mit Mitteilungen. Die letzte derartige Eröffnung erfolgt an dem besagten 4. Februar.20 Da erfährt die feine Runde unter anderem, wen es hier bald nicht mehr geben wird. Als der überschlaue Minister Hans Lammers auf den Gedanken verfällt, die Ministerkollegen hin und wieder zum Bierabend einzuladen, wird dann auch das noch vom Herrn und Meister untersagt.21

Es ist wohl tatsächlich so, dass sich Hitler vor einer richtigen Staatskrise sah und die Flucht nach vorn wagt, um nicht selbst überrollt zu werden. Der Diplomat Herbert von Dirksen, 55, der gern in Pension ginge, soll Ribbentrop in London als Botschafter ersetzen. Damit er dort aber nicht Politik auf eigene Faust macht, bestellt ihn Ribbentrop öfters lange nach Berlin ein. Mehrere Botschafter, darunter auch die Botschafter in Wien und Rom, werden aus der Welt zurückberufen an den heimischen Herd; sechzehn Generäle aus Reichswehrzeiten werden einfach so pensioniert, vierundvierzig andere Generäle werden versetzt, Umstände, von denen die Herren banal in den Morgenzeitungen gelesen haben. In Berlin angelangt, werden sie mit den Entscheidungen konfrontiert. Der Befehlsempfang endet mit der Aufforderung, mit niemandem darüber zu reden. Damit sich die geschockten Herren in dieser Stimmung nicht womöglich jetzt mit den Kollegen beraten können, werden sie unverzüglich auf ihre Kommandostellen zurückbefohlen. Das Kriegsministerium des Reiches wird in Oberkommando der Wehrmacht umbenannt und Wilhelm Keitel unterstellt.22 Für 13 Uhr beordert Hitler diesen akkurat frisierten Mann in die Reichskanzlei. Der Führer „schüttet Keitel sein Herz aus über das Schwere, was über ihn hereingebrochen ist. Er wird immer einsamer … Er sagt zu K., ich verlasse mich auf Sie, Sie müssen bei mir aushalten. Sie sind mein Vertrauter und einziger Berater in den Fragen der Wehrmacht. Die einheitliche u. geschlossene Führung der Wehrmacht ist mir heilig u. unantastbar“ und setzt dann im selben Tonfall fort: „Ich übernehme sie selbst mit Ihrer Hilfe.“23

Mit diesen Worten wird Adolf Hitler Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Göring, der auch diesen Stuhl gerne in seine Sammlung aufgenommen hätte, wird vom Führer mit dem Titel eines Feldmarschalls abgefunden. Und das gibt gleich noch so einen prächtigen bunten metallenen Orden. Nicht umsonst sagen die Leute unter der Hand: „Wissen Sie schon das Neueste? Der Göring hat sich einen dreißig Meter langen Säbel machen lassen!“ Auf die Frage, warum, heißt es: „Damit er ihn aus dem Flugzeug ’raushängen lassen kann.“24 Normalerweise kommt es in konfliktreichen Zeiten zu einer politischen Machtverlagerung zugunsten des Militärs. In Deutschland passiert in diesen Tagen das ganze Gegenteil. Die Führung der Wehrmacht dankt ab. Jetzt liegen Frieden und Krieg in den Händen eines Zivilisten, der die gesamte Macht in Deutschland innehat. Gisevius hat nur Hohn und Spott für die Generäle übrig und nennt sie bloß noch die Goldbetressten.25 Als sich in den Stunden danach kein Widerspruch regt, weiß Hitler, dass sein Coup geglückt ist. Dann zieht sich der Sieger wieder auf seinen Obersalzberg zurück.26