Der SD registriert, dass sich Teile der Bevölkerung jetzt noch stärker mit Adolf Hitler verbunden fühlen, doch mancher in der Bevölkerung würde den genannten Einwanderer gern nach Hamburg holen, um die Früchte seiner Außenpolitik am eigenen Leib zu spüren. Im unangepassten Teil der Bevölkerung des Reiches wird der Ton langsam rauher: Adolf Hitler, Hermann Göring sowie Joseph Goebbels fahren mit einem Auto durch Deutschland. In einem Dorf fährt das Auto den Hund des Gastwirtes tot. Hitler schickt Goebbels in die Gastwirtschaft, er solle sich bei dem Wirt entschuldigen und Schadenersatz anbieten. Goebbels tut, was befohlen ist, doch er kommt und kommt nicht wieder heraus. Nach einer Stunde wird er total betrunken nach draußen gebracht. Er berichtet, dass er nur gesagt habe: „Heil Hitler! Der Hund ist tot!“ Da seien sich die Leute vor Freude um den Hals gefallen und hätten ihn so lange mit Schnaps abgefüllt, bis er „blau“ war.518 Das macht es eher nachvollziehbar, warum seit dem Beginn des Krieges die Anzahl der Leute, die in die Konzentrationslager eingesperrt werden, so in die Höhe schnellt. Hitler will unbedingt sein großes Armdrücken und es wird ihm wohl zunehmend gleichgültig, ob die Leute merken, wer alles eingesperrt wird. Vielleicht will er es jetzt sogar, um andere abzuschrecken. Umso schneller muss er aus dem Weg. Wie kommt man jedoch an den blendend bewachten Führer heran? Dies ist im Prinzip nur wenigen seiner Gesinnungsgenossen möglich. Aber es gibt einzelne Ausnahmen. Sicherlich könnte man mit diesem Wunsch an den Chefdolmetscher Dr. Schmidt herantreten. Wenn Hitler Besuch aus dem Ausland bekommt, ist er für ein, zwei Stunden in seiner Nähe. Aber der Führer hat nicht umsonst eine Leibwache. Den Raum, in dem er ein Attentat versucht, wird dieser Herr nicht ohne Probleme verlassen. Was ihm dann blüht, mag man nicht wirklich bei lebendigem Leibe erfahren. Noch schlechter kann man dann eine Bombe zünden. Dann steht in der Weltpresse, der Staatsgast habe dabei leider Körperteile verloren, denn der Dolmetscher ist eher der Schatten des ausländischen Gastes als der Schatten des deutschen Gastgebers. Ausschlaggebend für den Erfolg der Aktion ist es natürlich, dass die Verschwörer als Erste erfahren, dass sie geglückt ist. Sonst nehmen die Sicherheitskräfte den Attentäter einfach fest, fahnden nach seinen Mitwissern und räuchern den Rest aus. Das ist leicht gesagt: Man muss Hitler nur umbringen. Es gibt bei uns mehr als zehn Nazis. Hitlers Tod ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Einer aber will nicht nur, er kann auch, denn er hat Zugang zur Reichskanzlei. Der Mann der Stunde ist der Diplomat Erich Kordt. Am 1. November ist er im Büro von Hans Oster und weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll wegen des Anliegens, das der ihm vorträgt: „Wir haben niemanden, der die Bombe wirft, um unsere Generäle von ihren Skrupeln zu befreien.“519

Da sagt Kordt zu Oster: „Ich bin gekommen, Sie darum zu bitten.“ Kordt wurde schon im September von Weizsäcker darauf angesprochen und er kann von sich sagen, dass er von ihnen allen die besten Chancen auf den Erfolg dieser Aktion hat. Er wird noch nicht einmal kontrolliert, wenn er in Hitlers Arbeitszimmer will. Oster sagt zu, den geeigneten Sprengstoff zu besorgen. Indessen geht Kordt jetzt häufiger in die Reichskanzlei, um sie auszuspähen, und damit sich die Wachen an seine Anwesenheit gewöhnen. Diese Absicht teilt Kordt den Westmächten in einer Erklärung mit, von der je ein Exemplar für US-Geschäftsträger Alexander C. Kirk und für den Schweizer Legationsrat Kappeler bestimmt ist. Es gibt auch einen Gedankenaustausch mit den Diplomaten Hasso von Etzdorf und Albrecht von Kessel.520 Die Generäle Brauchitsch und Halder fahren zur Westfront, um sich dort erneut die Auffassung zur anvisierten Offensive einzuholen. Ludwig Beck schließen sich im Verfassen von Denkschriften alle drei Oberbefehlshaber im Westen an: die Generalobersten Gerd von Rundstedt in der Heeresgruppe A, Fedor von Bock der Heeresgruppe B und Wilhelm Ritter von Leeb bei der Heeresgruppe C. Ihre schriftlichen Begründungen für die Absage an eine West-Offensive adressieren sie an den General von Brauchitsch. Und – hat man Worte? – sogar der hitlertreue Generaloberst von Reichenau, der die 6. Armee der Heeresgruppe B befehligt, bezeichnet die Angriffspläne als geradezu verbrecherisch.521 Wilhelm Ritter von Leebs Schreiben endet mit den Worten, dass er bereit sei, mit seiner Person voll hinter Walther von Brauchitsch zu stehen und „jede gewünschte und notwendig werdende Folgerung zu ziehen“.522

Gisevius ist wie elektrisiert: „Es ist soweit… Hochbetrieb. Es jagen sich die Unterredungen. Plötzlich sind wir wieder mittendrin in der Atmosphäre kurz vor München 1938. Abwechselnd pendle ich zwischen dem OKW, Polizeipräsidium, Innenministerium, Beck, Goerdeler, Schacht, Helldorff, Nebe und vielen anderen hin und her.“523 Im Zossener Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres sowie auch des Generalstabes werden Maßnahmen zu deren Sicherung verabredet, weil von dort diese Verschwörung organisiert wird. Da Hitler den Beginn des Angriffes auf den 10. November festgesetzt hatte, muss er spätestens am 5. November die Befehle ausgeben. Und tatsächlich wird Brauchitsch für diesen Tag in die Reichskanzlei bestellt.524 Halder lässt General Beck und Goerdeler mitteilen, sie mögen sich an diesem 5. November bereithalten. An dem Tag sollen die Truppen ihre Ausgangsstellungen gegen Holland, Belgien und Luxemburg beziehen. Von Brauchitsch hat sich fest vorgenommen, Hitler seinen Plan auf Biegen und Brechen auszureden. Einen Tag zuvor erörtert Halder den Stand der Dinge mit dem Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes General Georg Thomas, der ihm seine Denkschrift unterbreitet, an der auch Oster, Dohnanyi und Gisevius mitwirkten. Da wird auch erwähnt, dass Josef Müller* vom Vatikan die Zusage erhalten hat, der Papst sei bereit, Friedensgespräche zu vermitteln.525