Der jährliche große Festakt in München

Feste soll man feiern, wie sie fallen, und revolutionäre Feste allemal. Wo sollte der Lebensmut der Leute herkommen, wenn man christliche Feste am liebsten auch ausrotten will? Am 9. November 1939 jährt sich der Marsch auf die Münchener Feldherrnhalle zum sechzehnten Mal. Am Vorabend findet wie jedes Jahr im Festsaal des Bürgerbräukellers eine Zeremonie zu Ehren der Opfer statt und hier sind die Braunen unter sich – so lässt es sich leben. Adolf Hitler kommt am Nachmittag des 8. November mit dem Flugzeug aus Berlin in München an, begleitet von Joseph Goebbels und einer Sekretärin. Eine Kapelle sorgt für die richtige Stimmung. Die etwa 3000 Gäste sitzen an den langen Tischen des Brauhauses vor ihren schweren Maßkrügen. Viele Männer tragen Uniformen, die meisten das Grau der Wehrmacht – das Reich ist im Krieg. Sie plaudern und lachen, schwelgen in ihren Erinnerungen an vergangene Schlachten und reden vielleicht über den erfolgreichen Feldzug gegen Polen – oder auch nicht. Als ihr Führer den Saal betritt, wird es schlagartig leise. In den Galerien klettern einige Männer der besseren Sicht wegen auf die Tische.539

Vor dem Führer trägt ein SS-Mann die heiligste Reliquie der Bewegung, die Blutfahne des fehlgeschlagenen Putsches von 1923. Adolf Hitler folgt ihm, Stellvertreter Rudolf Heß, Joseph Goebbels, Reinhard Heydrich und noch ein paar andere Mitglieder der Partei- und Staatsführung. Alle sind beisammen. Der Münchener Stadtrat Christian Weber, selbst ebenso ein Veteran des Putsches, meldet die Festgemeinschaft als zum Appell angetreten. Das wirkt unfreiwillig komisch, da die Männer nun mal vor ihren Bierkrügen sitzen. Weber hält eine kurze Ansprache, die mit einem dreifachen „Sieg Heil“ beendet wird. Dann besteigt der Führer das Podium, das vor einem großen Pfeiler errichtet wurde. Es ist rundum geschmückt mit Hakenkreuzfahnen. Adolf Hitler hält einen Moment inne, lässt den Blick durch den Raum schweifen, schaut noch einmal auf seine Vorlage und atmet tief ein. Er beginnt seine Rede wie gewohnt mit einer Ehrung und Würdigung der Veteranen aus den frühen zwanziger Jahren. Seine Stimme ist zunächst gedämpft, seine Vortragsweise verhalten, geradezu schleppend. Doch je mehr er sich thematisch der Tagesaktualität nähert, desto mehr kommt er in Schwung und richtet seine Rhetorik gegen den Engländer als solchen, der dem Reich den Krieg erklärt hat, wenn man davon auch wenig mitbekommt. Die Worte quellen leidenschaftlich und voller Energie aus ihm heraus: „Es tritt heute ein englischer Minister auf und sagt mit Tränen in den Augen: »Oh, wie gerne würden wir doch mit Deutschland zu einer Verständigung kommen, wenn wir nur Vertrauen haben könnten in das Wort deutscher Regierungen!« Genau das Gleiche liegt mir auf der Zunge! Oh, wie gern möchten wir doch mit einem Engländer eine Verständigung herbeiführen, wenn wir nur Vertrauen haben könnten zum Wort seiner Führung!“ Treten dem Führer auch Tränen in seine traurigen Augen? „Denn wann ist jemals ein Volk niederträchtiger belogen und beschwindelt worden und betrogen worden als in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten das deutsche Volk durch die englischen Staatsmänner? Wo ist die versprochene Freiheit der Völker geblieben? Wo blieb damals die Gerechtigkeit? Wo blieb der Friede ohne Sieger und Besiegte? Wo blieb das Selbstbestimmungsrecht der Völker?“ Je länger er redet, um so lebendiger wird die Redeweise und um so mehr steigert sich die Lautstärke. Er vergleicht den Deutschen und den Engländer auf dem Gebiet der Kultur und kommt zu dem Schluss, dass ein Einziger der Deutschen allein mehr geleistet habe „als sämtliche Engländer der Vergangenheit und Gegenwart zusammen“.540 Einen Haken hat diese Sache natürlich und das weiß Er am besten. Weil er sich selbst nicht so gut als Beispiel nennen kann, verweist er auf Ludwig van Beethoven. Adolf war seinerzeit von der Wiener Kunstakademie abgelehnt worden. Der Mann redet und redet wie ein Wasserfall. Ruhig betrachtet ist es wieder dieser Zusammenschnitt der immer gleichen Sprüche, die man ohnehin überall und ständig hört. Da kommt man ja gar nicht drum herum. Im weiteren Verlauf seiner Laudatio auf den großen Stolz seiner Bewegung schneidet er noch dieses und jenes Thema an, doch das müssen wir uns jetzt nicht unbedingt auch noch antun.

Präzise um 21.20 Uhr zerreißt die Detonation einer Bombe die Luft des Festsaales. Eine Druckwelle rast durch den Saal. Ihre Wucht verwüstet das Mobiliar, Fenster zerspringen und die Türen fliegen aus den Angeln. Von den Tischen und Stühlen um den Pfeiler bleibt Kleinholz übrig. Der Pfeiler trägt die Galerie nicht mehr und die Decke stürzt in den Saal, der sich von einem Augenblick zum anderen mit Rauch und Staub füllt. Das Podium samt dem Rednerpult wird zermalmt von dem herabstürzenden Mauerwerk. Hektische Rettungskräfte eilen zu diesem schwer zerstörten Gebäude. Aus dem Saal werden 8 Tote geborgen, 63 Verletzte, 16 davon sind schwer verletzt. Zu den Überlebenden der furchtbaren Katastrophe gehört der SA-Mann Emil Wipfel. Er war einer der Tontechniker.541 Als er gefragt wird, was sich denn hier zugetragen habe, versucht das Opfer, sich zu erinnern: „Plötzlich war um uns ein kurzer, heller Feuerschein. Im gleichen Augenblick hörten wir einen entsetzlichen Knall. Ich wurde etwa zwei Meter nach rückwärts geschleudert, fiel auf die Trümmer, und dann brach es prasselnd und krachend über mich herein. Als Ruhe eingetreten war, lag ich auf dem Bauch; den rechten Arm hatte ich um den Fuß meines Kameraden Schachta geschlungen. Ich wusste in diesem Augenblick noch nicht, dass er bereits tot war. Mein linker Arm war unbeweglich, meine Füße waren regungslos eingeklemmt.“542 Das wünscht er keinem. „Wie ich nachher erfuhr, lag ein Teil der Saaldecke, die an der Stelle, wo das Führerpodium stand, niedergebrochen war, auf mir; ich vermute, dass sie von einem zertrümmerten Tisch, der neben mir stand, und vielleicht auch vom Körper meines toten Kameraden noch so weit gehalten wurde, dass ich nicht erdrückt wurde.“543 Doch unter welchem der großen und kleinen Trümmerteile in dem Saal liegen die sterblichen Überreste des Führers?

Der Mann und seine Entourage, denen dieses Attentat wirklich gegolten hat, haben den Festsaal des Bürgerbräukellers vorzeitig verlassen, denn der Führer will Krieg führen im Westen und morgen bis 18.00 Uhr seine Befehle dafür ausgeben. Er selbst ist schon um 21.07 Uhr aus dem Saale gegangen zusammen mit weiteren Parteioberen.544 Der Führersonderzug setzt sich elf Minuten nach der Detonation am Hauptbahnhof der Stadt München in Bewegung.545 Hitler wird wie immer seine geheimnisvollen Gründe haben, warum sein Angriff nicht am 14. oder am 20. November beginnen kann. Irgendwie muss es auf einmal der 12. November sein. Es wäre die Rettung für Deutschland gewesen, hätte das Wetter getan, was es sollte. Da wäre der Führer wie immer mit dem Flugzeug nach Berlin zurück geflogen. Aber Hitlers Chefpilot hatte gewarnt, dichter Nebel sei angesagt. Also blieb nur die Rückreise per Sonderzug am selben Abend. Der Führer hat nur eine Stunde gesprochen, dann war wesentlich früher als in den vorangegangen Jahren sein Palaver beendet, so dass auch die Zahl der Opfer gering bleibt. Als die Mordmaschine explodierte, war nur noch die arbeitende Bevölkerung in dem Festsaal – die Musiker, Kellner und Kellnerinnen. So war das nicht gedacht. Als die Öffentlichkeit über den Rundfunk und die Zeitungen erfährt, dass bei dem Braunen-Treffen ein Anschlag auf Hitler misslungen ist, macht bei den Befürwortern und bei den Gegnern des Regimes in Deutschland die bitterste Enttäuschung die Runde. Die einen können es nicht glauben, dass jemand den Führer töten wollte, dessen Erfolge längst jene des Reichskanzlers Bismarck in den Schatten stellen, ja, und die anderen tuscheln: „Was hat es bei dem Münchener Attentat gegeben?“ Die Antwort auf die Frage lautet: „Zwölf Tote, vierundzwanzig Verletzte und achtzig Millionen Verkohlte.“546 Auf jeden Fall ist es peinlich, dass große Zeitungen bereits die Propagandatexte für den folgenden Tag fertig haben und ungeändert abdrucken. So heißt es dann in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, die alten Kämpfer hätten noch lange beisammen gesessen, um die Zielsetzung der Führerrede weiter zu besprechen, und in den Leipziger Neuesten Nachrichten steht am 9. November sogar, dass die alten Kämpfer noch lange mit dem Führer höchstpersönlich im Bürgerbräukeller zusammensaßen.547 Häme über Leipzig ist jedoch fehl am Platz. Die Stadt zählt zu den Hochburgen des Widerstands im Deutschen Reich. Hausaufgabe: Schauen Sie einmal in die Blätter Ihrer Gegend. Mal sehen, was sie dort darüber finden. Das Ende vom Lied ist, dass die groß aufgemachte Trauerfeier herzlich wenig Interesse erweckt: „Die Beteiligung der Münchener Bevölkerung an dem Staatsbegräbnis der Opfer des Attentates war verhältnismäßig schwach, nur am Odeonplatz stauten sich die Zuschauer, ohne jedoch eine besonders tiefe Anteilnahme an dem feierlichen Akt zu zeigen.“548 Wie man sie gerufen hat, so sind sie gekommen und auch wieder gegangen. Weshalb soll sich die Einstellung der Münchener geändert haben im Vergleich zu 1938, als sie den Staatsgästen aus London und Paris zugejubelt hatten?

Das mit den achtzig Millionen Verkohlten ist in zweifacher Hinsicht ein wahres Wort. Wie viele Wochen geht der neue Krieg jetzt schon und wie lange brüten Diplomaten und Militärs über den Fragen, wie man Hitler umbringen soll, wo und wann das geschehen müsste? Das Warum steht schon gar nicht mehr zur Diskussion, seit der Krieg wirklich angefangen hat. Ihre scheinbare Untätigkeit hat doch überhaupt erst zum Eindruck geführt, dass jemand aus dem Volke etwas unternehmen muss, um dem Regime ein Ende zu bereiten. So ist es zwar ein Elend, dass das Attentat scheitert, doch auf der anderen Seite ist es tatsächlich tragisch, dass der mutige Einzelkämpfer damit der organisierten Aktion der Zögerer in der Staatsführung neue Hindernisse in den Weg legt. Unmittelbar nach dem Attentat aus dem Volke werden alle Munitionsdepots schärfer bewacht. Die Laboratorien müssen per sofort über jedes Gramm Sprengstoff und dessen Verwendung genauestens Buch führen. Schlimm genug, dass sie vermerken müssen, wann wer etwas geholt hat. Darüber hinaus wird die Bewachung des Führers weiter perfektioniert.549 Der Freundeskreis rund um Adolf Hitler sucht nach dem Anschlag in erster Linie einen Schuldigen, den man in den Medien propagandistisch effektvoll anbieten kann. Am besten wäre es, wenn man sagen könnte, er sei vom Ausland aus beeinflusst worden. Höchstens zwei Stunden nach jener Explosion ruft der Reichsführer-SS Heinrich Himmler und Chef der deutschen Polizei den SS-Obergruppenführer Walter Schellenberg in Düsseldorf an und ändert auf Befehl des Führers den Auftrag für das Treffen, das am 9. November mit den englischen Geheimdienstagenten vorgesehen ist. Er solle sie mit einer Gruppe seiner Männer entführen.550 Jene Engländer sollen in aller Pracht der Öffentlichkeit als die Drahtzieher präsentiert werden. Walter Schellenberg, alias Hauptmann Schemmel, der den Briten die ganze Zeit erzählt, er gehöre zu einer Widerstandsgruppe der Wehrmacht, kommt also am nächsten Tag wie vereinbart zu dem Café Backus in den niederländischen Ort Venlo. Mit ihm warten dort die Männer vom Sicherheitsdienst unter dem Kommando von Alfred Naujocks auf die Emissäre und nach einem Handgemenge transportieren sie die Männer über die bloß wenige hundert Meter entfernte deutsche Grenze. Alfred Naujocks, der an der Nummer beteiligt ist, ist genau der, der am Vorabend des Krieges schon den Überfall auf den Sender Gleiwitz geleitet hatte.551

Bleibt nur noch die Frage zu klären, wer der Heißsporn war, dem die zugegebenermaßen aufwändigen und handwerklich durchaus geschickten Vorbereitungen zuzuschreiben sind. Es handelt sich um Georg Elser und somit um jenen Mittdreißiger, der vor einem Jahr in der Stadt war, um Möglichkeiten für einen Anschlag auf möglichst viele Bonzen der Staats- und Parteiführung bei dem Festakt zu sondieren sowie um den richtigen Zeitpunkt für die Explosion festzustellen. Doch dieses Jahr ist Krieg und alles ist anders. Erstens geriet der Auftritt kürzer als sonst und zweitens ist auch die Grenze zur Schweiz geschlossen, was Elser seine Flucht unmöglich macht. Vor einem Jahr hatte er begonnen, die nötigen Zutaten, Schießpulver und einen Zünder, an seiner Arbeitsstelle zu stehlen. Dann hatte er eine Tätigkeit in einem Steinbruch begonnen, wo er ohne große Probleme Sprengkapseln und mehrere Patronen mit Sprenggelatine bekam. Erst einmal bastelte er Probebomben, um herauszufinden, welche Menge Sprengstoff er für dieses Vorhaben brauchen würde. Im Frühling kam er wieder nach München, nahm in dem großen Gebäude Maß und fertigte Zeichnungen der Örtlichkeit an. Den geeignetsten Platz für seine Bombe fand er im Steinpfeiler hinter dem Podium, auf dem das Rednerpult sein würde. Der Pfeiler stützte da noch mit mehreren anderen eine Galerie, die über die ganze Längsseite des Saales lief. So sollte die Wucht der Explosion zugleich noch die schweren Balkone herabreißen und die Sicherheit erhöhen, dass er möglichst viele der Anwesenden tötet. Was jetzt noch an Freizeit blieb, nutzte er, um den Zeitschaltmechanismus zu konstruieren. Fragte ihn jemand, was er da tat, sagte er den Neugierigen nur schlicht: „Eine Erfindung“, was jedenfalls keine Lüge gewesen ist.552 Ab August bohrte er einen Hohlraum in den Pfeiler; eine Bombe an sich und der durchaus komplizierte Zeitzünder waren schon fast angefertigt. Am Abend ging er immer gegen neun Uhr in den Bürgerbräukeller und aß eine Kleinigkeit. So eine Stunde später schlich er auf die Galerie des Festsaals und versteckte sich in einem Lagerraum, bis das Lokal endlich geschlossen wurde. War alles still, konnte er beim Schein der Taschenlampe ein paar Stunden arbeiten. Sobald die Kellner morgens zur Arbeit kamen, verließ Georg Elser offenbar gänzlich unbemerkt das Wirtshaus durch einen Hinterausgang. Tagsüber gab er seiner Bombe einen letzten Schliff. Das Wichtigste war der Zeitzündmechanismus. Wenn die Bombe explodierte, wollte er schon sicher in der Schweiz sein. Dafür bedurfte es einer Zeitschaltuhr, die sich auf einige Tage im Voraus einstellen ließ. Er fand eine geniale Lösung. Er modifizierte das Uhrwerk durch Zahnräder und Hebel zur Zeitschaltuhr, die 144 Stunden lief, und wenn es Zeit war, einen Schlagbolzen aktivierte, der auf das Zündhütchen einer Gewehrpatrone ohne Bleikugel schlug, die in der Sprengstoffmasse steckte. Und er verließ sich nicht einmal bloß auf einen Mechanismus, sondern hatte noch einen zweiten gebastelt. In der Nacht zum 2. November deponierte er die Bombe im Pfeiler, zunächst ohne die Uhrwerke. Drei Nächte nach dieser Aktion fügte er den Zeitschaltmechanismus hinzu und stellte ihn auf den Abend des Festaktes um 21.20 Uhr ein. Wer konnte denn sagen, ob Hitler nicht verspätet in München eintraf und seine ellenlange Rede nicht pünktlich beginnen würde? Und wie konnte er ahnen, dass Hitler wie geplant vor Ort ist und nach sechzehn Jahren seines revolutionären Kampfes um die totale Redefreiheit für sich selbst ausgerechnet an dem Abend einmal seinen Psalm abkürzt?553

Als der Festakt am 8. November stattfindet, ist Georg Elser schon längst über alle Berge. Noch vor Mitternacht ist er an der Schweizer Grenze. Er kennt den Grenzabschnitt, an dem er flüchtet, ganz genau, denn er hatte ihn vor einem Jahr ausgekundschaftet. Weder Polizei noch Zollbeamten war er begegnet. Doch nun werden die Grenzen des Reichs bewacht und er ist mit einer Drahtzange ausgerüstet, um die Grenzanlagen zu durchschneiden. Wie erschrocken muss er wohl sein, als ihn tatsächlich zwei reichsdeutsche Beamte stellen? Er stammelt eine Ausrede, ja, er sei mit jemandem verabredet gewesen, habe den Betreffenden aber verfehlt und suche ihn jetzt. Die zwei Beamten bieten ihm Hilfe bei der Suche an und bringen ihn dafür zu ihrem Wachlokal; seitdem die Polizei Hitler dienen muss, gibt es ja den Propagandaspruch: „Die Polizei – Dein Freund und Helfer!“ In Wirklichkeit vermuten sie, dass sie einen Schmuggler ertappt haben und beginnen, ihn zu verhören.554 Georg bleibt bei der Geschichte mit der Suche nach einem alten Freund. Dann soll er die Taschen leeren. Was zum Vorschein kommt, muss ja Verdacht wecken: eine Drahtzange, ein Abzeichen des Rotfrontkämpferbundes – 1939 im Deutschen Reich, was Leute nicht alles aufheben, eine Zündkapsel, eine detaillierte Skizze seiner Bombe und eine Postkarte vom Bürgerbräukeller! In der Schweiz wollte er gewiss mit diesen Utensilien beweisen, dass nicht ein anderer, sondern er den Führer zur Strecke gebracht hatte. Doch die Beweise für seine Täterschaft kommen bei der falschen Behörde zum Vorschein. Der Zoll überantwortet diesen armen Sünder der Geheimen Staatspolizei in Konstanz, die ihn weiter verhört. In dieser Nacht erfahren die Ermittler der Gestapo von dem Bombenattentat und damit ist ihnen alles klar.555

Am nächsten Morgen wird er nach München zurückgebracht, wo er von der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei verhört wird. Elser bestreitet weiterhin, dass er der Attentäter war, bis einer der Vernehmer auf den Gedanken kommt, sich die Knie dieses Verdächtigen anzusehen. Wenn jemand vermutlich wochenlang vor einem Pfeiler kniet, um einen Hohlraum hinzubekommen, dann sollte er Spuren an den Knien haben. Der Kriminalrat liegt richtig. Trotz der verwendeten Schutzpolster verraten Elser die tiefblauen Druckstellen, die teilweise sogar vereitert sind. Der Mann ist zu überrascht, um sich eine Erklärung aus den Fingern zu saugen. Fünf Tage nach der Verhaftung gesteht er umfassend.556

Schön und gut, dass der Freundeskreis rund um den Führer damit weiß, wer das Attentat ausgeführt hat, doch Georg Elsers Geständnis lässt sich bei aller Liebe nicht so ausdeuten, dass er der Handlanger ausländischer Gesellen gewesen war. Jetzt schaltet sich der Freund und Kupferstecher Heinrich Himmler in den Vorgang ein. Dieser Name ist Programm. Nun beginnen Verhöre, wie sich ein Himmler die Angelegenheit vorstellt. Er tritt den gefesselten Georg Elser mit den Stiefeln in den Leib. Dann lässt er ihn von einem Gestapo-Beamten in den Waschraum zerren und auspeitschen, dass er vor Schmerzen aufschreit. Danach wird er wieder vor Himmler gezerrt, der erneut zutritt und schreit. Elser ist kaum noch bei sich, rückt aber von seinen Aussagen nicht ab.557 Da wird sich die Staatsführung noch etwas einfallen lassen müssen, wenn er weiter nicht bereit ist, geeignete Aussagen vor Gericht zu machen.