Schon vor Jahren, als Hans Speidel noch an der deutschen Botschaft im schönen Paris gearbeitet hatte, waren dort die Mitarbeiter mit einer unrühmlichen Ausnahme gegen die Nazis eingestellt. Im Juli dieses Jahres 1938 beginnt der neunundzwanzig Jahre junge Diplomat Ernst Eduard vom Rath seinen Dienst an der Botschaft als Legationssekretär. Wegen seiner anti-nazistischen Einstellung wird der junge Mann von den wachsamen Kollegen der Gestapo beschattet.574 Die passen auch im Ausland immer schön ordentlich auf ihre Schäfchen auf. Weil ihn die Gestapo jedoch lediglich überwacht, ist das nicht so spannend. Gehen wir dorthin, wo wieder wirklich etwas passiert.

Für Juden im Reich selbst ist das Leben schon seit ein paar Jahren nicht mehr feierlich und es hat längst nicht jeder das große Kleingeld, um sich in ein Land abzusetzen, das einen dann auch aufnimmt. Die Schweiz ist dazu beispielsweise nicht bereit. Nachdem sich das Deutsche Reich auch Österreich einverleibt hatte, erlebt die Schweiz einen wachsenden Strom vor allem jüdischer Flüchtlinge, die ihr Heil in einem ruhigeren Teil der Alpen suchen. Im Juli scheiterte zudem eine internationale Flüchtlingskonferenz im französischen Évian-les-Bains. Schon dieses Treffen sollte ein paar Kilometer entfernt von Genf stattfinden, wo der Völkerbund ja eigentlich immer Veranstaltungen durchführt, weil die Schweiz ihre Beziehungen zum Deutschen Reich nicht gefährden mochte. Vertreter von 32 Staaten waren vom US-Präsidenten eingeladen worden und 31 davon haben es abgelehnt, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Die USA bleiben bei ihren altbekannten Quoten für die Einwanderung. Letztlich hat bloß die Dominikanische Republik ihre Schotten nicht dicht gemacht. In der Schweiz forderte der Bundesrat ein Visum für österreichische sowie für deutsche Passbesitzer. Die Konsulate im Ausland sollten nur denjenigen eine Bewilligung erteilen, die in der Schweiz Angehörige oder Vermögen hätten – sowie an Weiterreisende. Die Regierung in Berlin wollte keinen Visumzwang, denn der hätte auch Leute betroffen, die gar nicht aus dem Reich flüchten wollten. Daraufhin entwickelte der Gesandte der Schweiz in Deutschland Paul Dinichert einen Vorschlag zur Güte, fragt sich nur, für wen, und schlug am 16. Mai ’38 vor, den Visumzwang „auf die nicht-arischen deutschen Staatsangehörigen“ zu beschränken. Im August und September kam es zu Verhandlungen in Berlin und Bern. Der Schweizer Polizeichef Heinrich Rothmund schlug dann am 22. August einen Passvermerk für alle Emigranten vor. Im Gegenzug hat ein deutscher Unterhändler sondiert, ob die Schweiz nicht auf das Visum verzichten könne, wenn Deutschland die jüdischen Passinhaber darin als solche bezeichne. Heinrich Rothmund befand, „dass die Lösung technisch möglich“ wäre. Dabei soll er Bauchschmerzen gehabt haben, egal. Der Berliner Geheimrat Roediger unterbreitete dann am 7. September den Vorschlag, in den Pass von Juden ein großes J einzustempeln. Hans Frölicher, der Nachfolger von Dinichert, fand, dass die deutsche Regierung der Schweiz mit ihrem Vorschlag sehr weit entgegenkomme und dass die Lösung mit der roten Markierung annehmbar sei. Auch wieder, für wen? So entsteht die Verordnung vom 5. Oktober 1938 über das J im Reisepass.575