Daily Express: „Judea declares War on Germany“

Man soll ja nicht nachtragend sein, aber können Sie sich noch erinnern, wen Hitlers Rassenexperte Alfred Rosenberg vor Jahren in London alles getroffen hat? Unter den Gesprächspartnern war ein Lord Beaverbrook, der im Jahre 1918 an die Spitze des Informationsministeriums kam und Herausgeber des Daily Express ist – einer der persönlichen Vertrauten des ehemaligen Ersten Lords der Admiralität Winston Churchill mit der häufig diskutierten antisemitischen Phobie. Das war 1931 die Tingeltour durch Londoner Clubs, bei der Rosenzwerg seine Qualifikation als Antisemit herausstellte und den Gouverneur der Bank of England Montagu Norman mit entsprechenden Sprüchen erfreute.440 Welche Absicht steht wohl dahinter, wenn ausgerechnet im Daily Express, der erfolgreichsten Boulevardzeitung in der Welt, am 24. März 1933 auf der Titelseite groß und breit die Headline prangt: „Judea declares War on Germany“? Jews of all the World unite. Boycott of German goods. Mass demonstrations. Judäa erklärt Deutschland den Krieg. Juden der ganzen Welt, vereinigt Euch. Boykott deutscher Waren. Massendemonstrationen. Das sind mal richtig reißerische Schlagzeilen. Was hat sich wer dabei gedacht? Haben Sie Fragen dieser Art vielleicht nicht – besonders vor dem Hintergrund, dass das in einem Blatt eines der größten englischen Zeitungsfürsten zu finden ist? Wenn es sich zum Beispiel um eine jüdisch geleitete Zeitung handeln würde oder um ein Organ einer Menschenrechtsorganisation – dafür ist dieses Boulevardblatt jedoch nicht bekannt. Kann ja sein, dass wir in diesen turbulenten Wochen seitdem Hitler zum Kanzler von einer Koalitionsregierung gemacht worden ist, etwas verpasst haben, aber von Ausschreitungen gegen Juden oder auch nur von Gesetzen gegen Juden, die diskutiert würden, ist keine Rede gewesen, halt, doch es gab wohl in zwei Städten Zwischenfälle, aber sie erfassten nicht einmal diese beiden Städte als Ganzes. Hier bleibt immer noch die erste Frage offen: Warum setzt sich ein Antisemit mit aller Verve für die Juden ein?441 Daran kann man die Frage anschließen, ob es überhaupt einen Boykottaufruf gab.

Die Fragen sind völlig berechtigt. Um derartige Rätsel zu entschlüsseln, bewährt sich doch immer die Frage Cui bono? Wem nützt es? Wer kann einen Boykott von deutschen Waren wünschen? Fallen Ihnen zuerst die Russen ein, die Italiener, die Juden, Japaner oder Engländer in London, die wegen der enormen Flut an deutschen Exporten vor zwanzig Jahren den Weltkrieg eingefädelt haben? Die Juden fallen mir persönlich nicht ein, aber wenn ich parallel einmal wieder hinüber in den Orient schaue, habe ich einen schmutzigen Verdacht. Und ich gebe auch rechtzeitig zu, dass ich aus gegebenem Anlass auf das Mastermind hinter dem Dreck in der Welt Halford John Mackinder zurückkomme. Sie können gern lesen und suchen; vielleicht fällt Ihnen ja doch ein Stück Papier in die Hände, das zeitlich vor dessen Schriften angesiedelt war und in dem ebenfalls in der großzügigsten Offenheit ausformuliert wird, dass man die Juden aus Deutschland absaugen muss, wenn man dessen Wirtschaft zu schädigen gedenkt. In diesem Daily Express heißt es, dass Deutschland „mit einem internationalen Boykott seines Handels, seiner Finanzen und seiner Industrie konfrontiert ist. In London, New York, Paris und Warschau sind jüdische Geschäftsleute vereinigt, auf einen wirtschaftlichen Kreuzzug zu gehen.“ Steht in der Londoner Gazette von Lord Beaverbrook.442
Kann sein, dass Ernst Röhm voreilig ist beim Umwälzen der deutschen Gesellschaft nach seinen Vorstellungen, doch der einzige Drängler ist er nicht. Während Hitler an der allmählichen Ausschaltung institutioneller Hemmnisse für seine Alleinherrschaft arbeitet, möchte Joseph Goebbels hervortreten mit einem eigenen Beitrag im Rahmen des revolutionären Geschehens. Den Anlass dazu bieten ihm neben Schlagzeilen der Presse im Westen böswillige Falschmeldungen, die aus Ägypten und Thailand, ach so nein, völlig falsch, aus den United States of America ankommen. Warum spielen eigentlich so wenige Länder eine Rolle für das, was alles an hässlichen Vorkommnissen in der Welt passiert ? Gut, geschenkt. Als robuste Antwort auf die Forderung nach einem internationalen Boykott deutscher Produkte ruft er zum Boykott jüdischer Läden auf. Interessant ist, dass er Hitler nur die Zusage für den kommenden Samstag abringen kann. Der Führer der NSDAP braucht Ruhe im Reich und keinen Ärger von allen Seiten. Der eine Tag scheint ihm als Signal einfach zu genügen. Unentspannt hört der bayerische Kardinal Michael von Faulhaber von Goebbels’ Aufruf. Er hat sicher auch eine führende Rolle in der Priestervereinigung „Amici Israel“ oder auf Deutsch „Freunde Israels“ inne, die sich seit 1926 in Rom von katholischer Seite für eine christlich-jüdische Versöhnung einsetzt – wobei mit Israel natürlich das jüdische Volk und kein Staat gemeint ist. Kardinal von Faulhaber schreibt darum Ende des Monats an den amerikanischen Kardinal George William Mundelein in Chicago. Die Gräuelpropaganda aus dem Ausland bezeichnet er als den Auslöser des Boykotts: „Die unwahren Berichte über blutige Gräueltaten in Deutschland, die in amerikanischen und anderen ausländischen Zeitungen erschienen sind, und die Angriffe gegen die neue Regierung in Deutschland wegen ihres Kampfes gegen den Kommunismus haben die deutsche Regierung veranlasst, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und vom 1. April ab den Boykott gegen alle jüdischen Geschäfte mit aller Strenge durchzuführen.“ Er gibt zu bedenken: „Die Korrespondenten der ausländischen Zeitungen haben nicht überlegt, in was für eine schwierige Lage sie die Juden in Deutschland durch ihre Berichte in den Zeitungen gebracht haben.“ Doch von den Korrespondenten wird es überhaupt nicht kommen. Die vergifteten Enten werden die Chefetagen selbst in Auftrag gegeben haben. Am Ende schreibt Faulhaber: „Ich bitte Euere Eminenz, allen Einfluss aufzubieten, dass die ausländischen Zeitungen, die bisher Gräueltaten berichtet haben, eine Erklärung abgeben, dass sie sich von der Haltlosigkeit ihrer früheren Behauptungen überzeugt haben.“443