In den Protokollen der Weisen von Zion warf man anonym den Juden – arm oder reich, jung oder alt, dick oder dünn, unabhängig vom Wohnort vor, sie würden die Weltherrschaft anstreben. Die erste Ausgabe dieses Buches entstand in den 1880er Jahren in England. Im Jahre 1899 folgte Houston Stewart Chamberlain mit dem nächsten antisemitischen Buch The Foundations of the Nineteenth Century, das auch – seltsam genug – übertrieben schnell ins Deutsche übersetzt wurde. Da war der Gedanke ausgekochter Leute in Großbritannien, ihr Streben nach Weltherrschaft, nach dem Motto Haltet den Dieb, den Juden in die Schuhe zu schieben, offenkundig schon nicht mehr taufrisch. 1904 stellte dann Halford John Mackinder seine Heartland-Theory auf. Er ist es, der rascher als andere Briten begreift, dass es die deutschen Juden, in erster Linie selbstredend die Frankfurter Bankiers sind, die Deutschland sein Wirtschaftswunder seit dem letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts finanziert haben. Mackinder ist schon ein kluger Denker. Aber irgendetwas ist da seltsam. Haben wir das nicht schon einmal gelesen? Nein! Doch! Ging es da nicht um den Ursprung der Balfour Declaration 1917, mit der schon vor zwei Jahrzehnten die Juden aus Europa und im Besonderen aus Deutschland abgesaugt werden sollten? 1917 sind aber längst nicht alle dem Ruf nach Palästina gefolgt und 1938 hat London dort die Einreisen ganz gestoppt. Somit sind trotz der neuen Regierung des Deutschen Reiches weiterhin eine ganze Reihe von Juden in Deutschland zu Hause.

Mackinder hat bis zum Punkt auf dem ı verstanden, dass die sehr guten Beziehungen zwischen dem neuen Deutschen Reich und dem Reich des Russischen Zaren in Kombination mit der internationalen wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden in kurzer Frist das Ende für das British Empire sein konnten. Das galt für die Bankiersfamilien bis hin zu Max Warburg, den Kaiser Wilhelm zum Chef seines Geheimdienstes gemacht hat. Jahr für Jahr waren es auch Juden, die Nobelpreise in verschiedenen Sparten nach Deutschland geholt hatten. Als die Nazis die Juden 1933 aus ihren Stellungen vertrieben, versiegten auch die Nobelpreise. Und dann in den 1930er Jahren, als Deutschland für die Juden immer mehr zur Hölle auf Erden geworden war, haben die Verbrecher ihnen den Fluchtweg in den Nahen Osten versperrt. Gleichzeitig wurde auch die Fluchtbewegung in die Vereinigten Staaten von Amerika abgedrosselt. Für einen Teil ist ein besonderes Schicksal vorgesehen. Am Ende des Tages werden die Nazis wohl unauslöschlichen Hass zwischen Juden und Deutsche bringen.

Als dieser Krieg 1939 begann, stiegen in New York City die Aktienkurse. Das Deutsche Reich ist der größte ausländische Kunde zum Beispiel von IBM, denn es benötigt unter anderem Erfassungssysteme für die KZs, so dass die Wachmannschaften den Überblick über die Gefangenen haben. Früher brauchte man im Deutschen Reich Zettel und Stift, um Angaben festzuhalten und auszuwerten. Mit den hochmodernen amerikanischen Maschinen läuft das alles reibungslos wie an Henry Fords Fließbändern. Mal sehen, ob sich irgendwann einmal Historiker wagen werden, diverse unappetitliche Details eines Völkermordes von kopfkranken Ausmaßen wieder auszugraben, wie beispielsweise, dass die Häftlingsnummern für die Konzentrationslager von Maschinen Made by IBM generiert werden. Hollerith-Lochkarten speichern alle Daten, die für die Aufseher relevant sind. Wenn in den Kärtchen im Format 14 mal 8,2 Zentimeter beispielsweise das Loch 12 ausgestochen ist, bedeutet das Zigeuner, Loch 8 heißt Jude, Loch 3 besagt, die Person ist homosexuell. Den schließlich eintätowierten Häftlingsnummern ist zu entnehmen, welcher Nationalität eine Person ist, das Geburtsdatum, die Anzahl der Kinder, körperliche Merkmale oder berufliche Fähigkeiten. Darüber darf man nicht nachdenken. Dabei handelt es sich freilich um recht komplizierte Anlagen, um deren Wartung sich allen Ernstes Ingenieure der amerikanischen Firma selbst kümmern, vor Ort, wie zum Beispiel im KZ Ravensbrück. Im Schnitt ist einmal im Monat jemand vor Ort, prüft und bildet das Nazi-Personal für die Bedienung der Geräte aus. In den Büros von IBM werden Kopien der Bedienungshandbücher aufbewahrt für den Fall, dass die Bücher vor Ort durch missliche Umstände abhanden kommen sollten.1

Morgan and Company finanziert wie vor dem Kriege große französische Industrie- und Handelskonzerne wie z. B. Renault, Peugeot, Citroën und viele andere.2 Das ist phantastisch, denn die Wehrmacht benötigt in den Weiten Russlands eine Unmenge Fahrzeuge wie LKWs und Motorräder ohne Ende, wenn sie nicht doch noch auf Pferde umsatteln will. Panzer werden ja gleich in den Produktionsanlagen von Ford Deutschland und General Motors’ Opel-Werken für Hitlers Wehrmacht hergestellt. Um da natürlich nicht nur auf den Amis herumzureiten, soll an der Stelle daran erinnert werden, dass der Wehrmacht die große Rüstungsschmiede von Škoda in der ehemaligen Tschechoslowakei durch die Briten zugespielt worden ist, und das war auch schon vor dem Kriege. Ja, was denken Sie denn, wo Hitler auf einmal den Fuhrpark her hatte, und woher Material für den Bau von Bomben oder die Bereifung seiner Fahrzeuge plötzlich gekommen war wie Atrabin, Magnesium oder synthetischer Gummi? Er kann nicht zaubern. Sie dürfen das nicht vergessen: Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Die Rohstoffe kommen aus Werken des US-Zweigs der IG Farben, der sich in weiser Voraussicht 1939 bereits umbenannte in General Aniline & Film. Am Rande: Drei der Direktoren des Betriebes der IG Farben in den Staaten kommen von der Federal Reserve Bank of New York, der einflussreichsten der verschiedenen Bundesnotenbanken. Ohne dieses Haus wäre schon der Weltkrieg von 1914 nicht finanzierbar gewesen. Als Vertriebsagentin dient die Firma General Dyestuffs, was so viel heißt wie Färbstoffe aller Art.3

Färbstoffe klingt auf keinen Fall so verfänglich wie Zyklon B. Mit dieser hochgradig giftigen Substanz, im Prinzip ist es reine Blausäure, werden Juden, Zigeuner und andere Leute ermordet. Dieses Verbrechen hatte ja schon ’39, lange vor den Deportationen angefangen, hinter den Mauern von Gefängnissen sowie gesicherten Zäunen von Konzentrationslagern. Im IG-Farben-Kartell wurde Zyklon B erfunden und hergestellt und gar nicht kleinlich kalkuliert. Die Produktion reicht aus, um 200 Millionen Menschen vom Leben zum Tod zu befördern. Das wäre teilweise für die Katz, wenn die Briten die Oder-Brücken demolieren würden. Gift gegen 200 Millionen Menschen reicht nicht nur für die ungefähr elf Millionen Juden, die vorwiegend in Osteuropa leben. Das ist genug, damit Hitlers willige Vollstrecker auch Polen und Russen, die nun schon von der Front überrollt worden sind, radikal ausrotten könnten. Es ist unfassbar, dass die Direktoren von IG Farben detailliertes Wissen zur Verwendung der Chemikalien in den Lagern haben. Was unternimmt der Direktor der IG Farben, von Schnitzler, als er erfährt, dass die Chemikalien seiner Firma dazu verwendet werden, um Menschen zu töten? Er ist entsetzt. Das ist erst einmal recht wenig und es wird noch viel übler. Dann fragt er seinen Kollegen Mueller-Cunradi, ob ihm und Ambros und anderen Direktoren in Auschwitz bekannt sei, dass die Gase und Chemikalien zum Mord an Menschen verwendet werden und erhält darauf die Antwort, dass „sämtliche Direktoren der IG in Auschwitz“ wissen, was passiert. Das steht im Bericht des Kilgore-Komitees, der schon 1942 erstellt wird.4 Offen bleibt die Frage, wie die Amis 1942 an diese Information kommen. Unsere IG Farben war noch vor dem Endsieg Hitlers am 30. Januar 1933 von Amis hochfinanziert worden. Inzwischen konnte sich das Kartell zum größten Chemie-Giganten in der Welt aufblähen, wobei gewiss nicht ohne jeden Hintergedanken die „Konkurrenz“ der IG Farben in den U.S.A. hilfreich zur Seite steht. Schon seit dem Beginn des Krieges nimmt die company General Dyestuffs Einfluss auf die eigene Regierung zugunsten unserer IG Farben. Deren Bedeutung für Hitlers Kriegswirtschaft wird deutlich, wenn man sich ihren prozentualen Anteil an der deutschen Produktion von Kriegsmaterial ansieht, der jetzt in den Werken der IG-Farben hergestellt wird. Diese Firmengruppe stellt unter vielen weiteren Produkten 33 Prozent des deutschen synthetischen Brennstoffs her, 46 Prozent des deutschen hochwertigen Oktan-Brennstoffes für Flugzeuge, 70 Prozent des „deutschen“ Schießpulvers, 84 Prozent der Sprengstoffe, 88 Prozent des deutschen Magnesiums, das für Bomben gebraucht wird, 90 Prozent der im Reich hergestellten Plastikartikel und 100 Prozent des Synthetikgummis.5 Das sind jene Stoffe, auf denen Hitlers Träume fußen. Nimmt man ihm diese Grundlagen der Kriegsproduktion und der Massenmorde weg, führt Hitler auf dem Obersalzberg nur noch seinen Hund gassi.

Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili alias Stalin würde tot am Boden liegenbleiben, wenn ihm das Ausmaß des Jahrhundertskandals bekannt wäre. Im stalinistischen Sowjetland müssen eingefangene Leute immer noch in Handarbeit der Reihe nach umgebracht werden, aber im amerikanisierten Deutschen Reich läuft das industriell ab wie an Henry Fords Fließbändern.

Wie die Hollerith-Lochkarten-Technik mit der Exaktheit von Schweizer Uhrwerken läuft, kann die Ermordung aller Juden in der Welt möglichst schnell und ausnahmslos vonstatten gehen, wenn alles wohl organisiert wird. Freilich fangen die Tücken gleich beim letzten Punkt an. Das erste Hindernis sind bereits die Kommentare, die auf Bitten der katholischen Bischöfe 1935 den Rassegesetzen ans Bein gebunden worden waren. Es muss immer erst genau überprüft werden, wer danach eigentlich überhaupt abgeholt werden darf. Erst dann kann man sich der Organisation so eines irren Verbrechens widmen. Gelegentlich wird kolportiert, schon seit Jahrzehnten sei davon die Rede, dass es sechs Millionen erwischen wird, sozusagen als historische Mission. Wenn jedoch die Zahl der Opfer rassistischer Willkür 120.000 nicht übersteigt, ist es dann vielleicht bloß eine Ordnungswidrigkeit? Dieselbe Frage stellt sich mir auch, wenn die Leute nicht vergast werden, sondern aufgehängt oder erschossen. Wenn sie tot sind, sind sie tot. Um Probleme der Organisation zu besprechen, lädt SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich für den 20. Januar 1942 13 Staatssekretäre verschiedener Ministerien und 2 hohe Partei- und SS-Funktionäre zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ ein in die Berliner Villa Am Großen Wannsee 56-58. Im Protokoll dieser Besprechung wird notiert, dass die zwei alten Kämpfer Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler dafür hauptverantwortlich zeichnen sollen. Vor der Bevölkerung wird diese Zusammenkunft zwar tunlichst geheim gehalten, aber mancher Witz unter der Hand zeugt davon, dass die Leute im Reich verstehen, welche Rolle der Reichsführer der Schutzstaffel SS Heinrich Himmler in diesem Staatsersatz spielt: „Was ist eine Ironie der Weltgeschichte?“ – „Dass der Scharfrichter der Hölle Himmler heißt.“6

Insgesamt sind bei der „Wannseekonferenz“ 15 Männer versammelt, die man auch im Alltag schon nicht unbedingt kennenlernen will, vom Chef der Geheimen Staatspolizei Heinrich Müller über SS-Sturmbannführer Rudolf Lange bis zu Roland Freisler vom „Reichsjustizministerium“, den vor allem das unerträglich laute Schreien zum Richter qualifiziert, oder umgekehrt: Ein Mensch mit so viel ideologischer Einseitigkeit in seinem Kopf ist für juristische Berufe denkbar ungeeignet.7

Als der Führer mit dem erst spät erworbenen Judenhass 1933 das Ruder in Deutschland übernahm, gab es im Reich 502.799 Juden.8 Sie erlebten den Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 und wenige von ihnen zogen anfangs die Konsequenz, das Land zu verlassen, ehe es womöglich noch schlimmer wird. Von 1933 bis 1938 haben ungefähr 557.000 Juden Polen verlassen und Zuflucht in Deutschland gesucht, da sie sich von der neuen Heimat weniger Judenhass versprachen.9 Dass es daraufhin zum Jahr 1939 nicht über eine Million Juden in Deutschland waren, erklärte sich daraus, dass in dem Zeitraum umgekehrt 537.000 Leute schon weggeekelt worden waren. Ende ’39 war ihre Anzahl sogar auf etwa 130.000 gefallen. Insgesamt leben in Europa elf Millionen von ihnen. Nun gibt es vier Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes der SS, die aus jeweils eintausend Leuten bestehen, von denen eine beträchtliche Anzahl anderen Völkern angehört. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass es in all den Ländern rundum viele Leute mit antisemitischen Auffassungen gibt. Sucht man nach sachlichen Gründen dafür, stößt man auf sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsvorstellungen, die bei den Juden auf mehr Resonanz stoßen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Sucht man nach sachlichen Gründen dafür, warum sich die örtliche Bevölkerung an den Massakern an den Juden handgreiflich beteiligt, wird man wohl auf die gleichen Antworten kommen wie bei den Schlägern in Deutschland. Auf der anderen Seite steht fest, dass ca. 4000 Juden allein in Berlin mit Erfolg versteckt werden. Das ist eine große Leistung der Zivilgesellschaft in einem Staat der Killer. Dazu kommen diejenigen, die nicht mit Erfolg versteckt werden; sie kommen in ihren Verstecken im Bombenhagel um, verhungern, werden von jemandem verraten oder was auch immer geschieht. Wie viele von den 130.000 Juden in Deutschland werden insgesamt gerettet? Wie gelingt es, sie zu verbergen? Die Leute auf der Straße wissen natürlich nichts vom Treffen am schönen Wannsee oder seinem Ergebnis, aber sie fragen sich unter der Hand: „Was ist verwunderlich?“ Und geben die Antwort: „Dass Goebbels nicht auch noch seinen Klumpfuß den Juden in die Schuhe geschoben hat!“10 Jener Spruch zeigt, dass es den Leuten auf die Nerven geht, dass Entscheidungen in Berlin nie an irgendwelchen Missständen schuld sind. Ob man die Stube nicht warm bekommt oder ob sonst etwas nicht läuft, wie es sollte, die Gazetten und die Goebbelsschnauze hacken immer auf dem Juden rum.

Es gibt übrigens einen gravierenden Unterschied zwischen italienischem Faschismus und Hitlers Vorstellung davon, was Nationalsozialismus ist. Zweimal fällt Dr. Paul Schmidt die Aufgabe zu, bei Gesprächen zwischen der Schwiegertochter Mussolinis, der Gräfin Edda Ciano, und Hitler zu dolmetschen. Beide Male hat die große, überschlanke und hochelegante Tochter des italienischen Diktators den Führer des Landes jenseits der Alpen auch auf politische Fragen angesprochen und sich nicht gescheut, mit Temperament und scharfem Verstand gegenteilige Ansichten vorzubringen. In mancher Situation wäre man doch zu gerne einmal im Raum ein Mäuschen gewesen: „Sie können doch niemand dafür bestrafen, dass seine Großmutter eine Jüdin ist“, sagt sie einmal mit einem funkelnden Blick aus den großen braunen Augen, die denen ihres Vaters so ähnlich sind. Mit Wärme setzt sie sich für mehr Menschlichkeit in der Behandlung der Juden ein.11